Eine Frage des Blickwinkels: von Aufopferung und Selbstbestimmung

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Mit friedlich schlummerndem Strahlemann auf dem Rücken und einem endlich ruhenden Wirbelmädchen im Fahrradhänger, drehe ich meine Runden durch den Park. Ich genieße die kühle Luft, lasse meine Gedanken kreisen und die Sonne in mein Herz. Ich bin ganz bei mir. Fast ein Jahr lang war ich so mindestens vier Tage die Woche bei Wind und Wetter in unserem wunderschönen Park an der Ilm unterwegs. Oft bin ich damit auf Kritik und Unverständnis gestoßen. Das könne ich ja wohl kaum immer so machen. Warum ich mir das antuen würde, bei dem strömendem Regen / der knallenden Sonne / dem heftigen Wind / der Hitze / der Kälte? Wie ich mich so für meine Kinder aufopfern könne? Das kann es doch schließlich auch nicht sein, oder?

Auf den Blickwinkel kommt es an

Anfangs tat ich mich auch wirklich schwer mit der Vorstellung bei Eiseskälte mit Baby im Tuch und Kind im Hänger stundenlang durch den Park zu laufen. Gerade im Winter mit sehr kleinem Baby war es eine echte Herausforderung. Denn stillen und abhalten waren nicht immer unkompliziert möglich. Ich hatte mich in meine Opferrolle fallen lassen und kam mir darin wirklich gut vor. Aber irgendwann habe ich es angenommen. Ich habe es geschafft meinen Blickwinkel zu ändern und das positive aus der Situation rauszuholen. Denn, sofern es mir gelungen ist, beide Kinder einigermaßen gleichzeitig zum Schlafen zu bekommen, hatte ich einen Moment nur für mich. Klare Luft machte die Müdigkeit erträglich, die Ruhe gab mir neue Kraft und ich konnte mich wieder erden. Ich war wieder Ich. Ich konnte durchatmen, die Natur aufsaugen und anschließend mit neuer Energie zusammen mit den Kindern den Park entdecken. Aber auch wenn das Wirbelmädchen wach blieb, war es draußen deutlich entspannter als drinnen. Denn auch sie konnte durchatmen und wurde spürbar ruhiger.

 


Aufopfern?

Was viele als Aufopferung ansehen, ist für mich einfach nur der Versuch drei verschiedene Bedürfnisse unter einen Hut zu bringen. Es war der entspannteste Weg für mich, beide Kinder zum Schlafen oder wenigstens zum Ruhen zu bewegen und dabei nicht selbst auf der Strecke zu bleiben. Ich „unde“. Ich schaue mir an, was wir alle brauchen und versuche einen Weg zu finden, mit dem wir alle relativ gut (oder manchmal auch nur irgendwie) zu dem kommen, was wir gerade brauchen. Bei den Kindern ist es das Bedürfnis nach Schlaf, bei mir das dringende Bedürfnis nach Ruhe, nach einer Auszeit, mal kurz nicht verantwortlich sein. So ganz lässt sich das nicht in unseren Tag einbauen, daher versuche ich mir am Wochenende oder an den Abenden immer mal wieder ein wenig Zeit nur für mich freizuräumen. Aber durch unsere Parkrunde war es für mich gut aushaltbar. Ja, es war körperlich anstrengend. Aber die Bewegung tat mir auch gut und beim Tragen kommt es darauf an wie ich gebunden habe. Es ist auf jeden Fall nicht rückenschädigend, im Gegenteil, Rückentraining ist inklusive.

Von Wunsch und Wirklichkeit

Warum lagen wir denn aber nicht einfach im Bett? Seit über vier Jahren trage ich „Kämpfe“ rund ums Schlafen mit meinem Wirbelmädchen aus. Sie braucht dringend Schlaf, findet aber absolut nicht zur Ruhe. Sie zappelt, sie quasselt, sie schreit. Das ist unser Thema, seit Geburt an. Es ist kräftezehrend und wahnsinnig nervenaufreibend. Aber sie kann es nicht und mittlerweile will sie es wohl auch nicht. Basta. Da bleiben die Augen selbst auf einer fünfstündigen Autofahrt im Dunkeln offen. Egal wie müde sie ist. Es nützt einfach nichts. Der kleine Bruder hat das Ganze freilich nicht unbedingt erleichtert.

Manchmal sehnte ich mich natürlich nach unserem Bett. Entspannt mit zwei Kindern im Arm, selbst ein kleines Ründchen schlummernd, um danach eventuell sogar leise rauszuschleichen und ganz in Ruhe den Haushalt zu machen oder einfach mal für mich zu sein. Aber was soll ich sagen, so war es nicht. Da konnte ich machen nix. Denn die Realität sah anders aus: Ein zappeliges Wirbelmädchen, dass solange ruhig war, wie ich etwas las, (dabei aber nie und nimmer einschlief) und ein kleiner neugieriger Strahlemann, der immer wieder das kleine Köpfchen nach oben hob, um zu überprüfen, ob die große Schwester auch wirklich noch bei ihm liegt. Oder noch mal musste. Oder noch mal rumpurzeln wollte oder, oder… Bis, ja bis es das Wirbelmädchen mit einem Mal packte und sie auf und davon war. Dann gab es kein Halten mehr. Sie raste durch die Wohnung, räumte und dekorierte um und hielt niemals still. Denn Stillstand hätte einschlafen bedeutet. So müde und erschöpft war sie eigentlich. Sie bewusst ohne Mittagsschlaf zu lassen, ging einfach nicht. Nervlich nicht und auch verantwortungsmäßig nicht. Sollte es mir in dieser Situation doch irgendwie gelungen sein, wenigstens das Baby zum Schlafen zu bringen, lag ich dort wie auf Kohlen. Hoffentlich schafft die Große es einigermaßen leise zu sein, wenn sie etwas braucht. Denn aufstehen konnte ich nicht. Der Strahlemann hing an meiner Brust und war wach ehe ich es überhaupt bis zur Tür geschafft habe.

Außerdem war da noch die Hoffnung auf ein wenig Schlaf. Nur ein kleines bisschen. Denn immerhin lag ich in einem großen gemütlichen Bett, in einem stockdunklen Raum und habe die Nacht nicht genug geschlafen. Ich wurde also müüüüüüde. Ich durfte aber nicht. Furchtbar. Erwähnte ich das niemals aufhörende zappeln und reden meines völlig übermüdeten Kindes schon? Ist nicht unbedingt zuträglich für die müden Nerven. Und somit nicht wirklich beziehungsfördernd. Echt nicht.


Lösungsorientiert und selbstbetimmt

Daher suchte ich bald nach einer besseren Lösung. Denn auch wenn mir gegenteiliges prophezeit wurde, gibt es immer einen anderen Weg. Manchmal liegt die Lösung nicht direkt sichtbar da, manchmal erfordert es ein wenig auszuprobieren und eventuell auch mal um die Ecke zu denken. Und manchmal kommt dabei eben auch was recht unkonvetionelles raus. Fakt ist aber, wir können unser Leben selbst gestalten, wir haben es in der Hand. Wir müssen nur genau hinschauen. Mir hilft es ungemein, mich nicht auf das Problem zu fokussieren, sondern auf die Lösung. Wie kann ich mit dem arbeiten was da ist? Wie kann ich selbst etwas verändern? Wie komme ich aus der Opferrolle ins Tun? Das ist oft gar nicht so einfach, erfordert es doch auch so manchen festsitzenden Glaubenssatz zu hinterfragen und vor allem auch eine ganze Menge Kreativität. Austausch hilft mir in diesem Prozess am meisten. Gespräche mit meinem Mann und mit Freunden, aber vor allem auch mit anderen Menschen in einer ähnlichen Situation. Der Austausch mit Gleichgesinnten, ob in der realen oder der virtuellen Welt, ist hierfür unglaublich hilfreich. Zu merken, man ist nicht allein auf der Welt, anderen geht es ähnlich, stärkt den Rücken und gibt neue Kraft. Auch lassen sich zusammen viel kreativere Lösungsansätze finden.

Besserung in Sicht

Aber he, ich kann euch sagen, es wird einfacher. Denn die Kinder werden älter. Seit kurzer Zeit ist es nicht mehr nötig, fluchtartig die Wohnung zu verlassen. Seit kurzem machen wir den Mittagsschlaf im Bett. Das Wirbelmädchen schafft es mit knapp 4,5 Jahren ein wenig für sich zu spielen und dann leise zu mir zu kommen. Hin und wieder erwische sogar ich ein wenig Schlaf. Die Große natürlich (meistens) nicht, aber auch wenn sie ihn immer noch recht dringend bräuchte, kommt sie einigermaßen ohne ihn aus. Die massiven Ausfallerscheinungen sind deutlich weniger, wenn auch nicht völlig weg.

Es ist entspannter geworden. Aber so richtig zufrieden bin ich nicht. Denn jetzt kommen wir kaum mehr vor die Tür, zu mindest bei weitem nicht mehr so lang und häufig (was natürlich auch den kalten Temperaturen geschuldet ist). Mir fehlt die viele Luft und die Natur und eine längere Ruhepause wäre für das Wirbelmädchen nach wie vor besser. Verrückt oder?

Das Leben selbst gestalten

Aber so wie wir anfangs für uns eine Lösung gefunden haben, so werden wir auch hierfür einen Weg finden. Vielleicht kann ich den Strahlemann im Frühling auch mal von einem kleinen Päuschen im Hänger überzeugen oder ich steige aufs Fahrrad um und fahre beide Kinder spazieren? Und so werden wir wieder überlegen, wie wir unser Leben für alle von uns am angenehmsten gestalten können. Denn genau das können wir. Wir können für uns tagtäglich entscheiden, was wir wollen und was nicht und wie wir leben möchten. Klar, nicht immer völlig frei, aber wir haben es in der Hand. Wir leben nicht in festgeschriebenen Strukturen. Wir haben kleine Kinder, die sich vor allem in der Baby- und Kleinkindzeit rasant entwickeln, deren Bedürfnisse und Fähigkeiten sich ständig ändern. Ein starrer und sturer Ablauf nur weil etwas irgendwie sein muss oder schon immer so war, passt da für uns nicht. Wir versuchen täglich einige Stellschrauben zu verändern und es für möglichst alle vier von uns so angenehm wie möglich zu machen. Denn das ist unser Leben. Wir haben nur dieses eine. Wir wollen es leben, wir wollen es spüren. Und ja, da ist auch ganz viel anstrengendes dabei. Es kracht häufig, ich bin oft ziemlich genervt und auch echt verdammt geschafft. Weil es anstrengend ist, dieser Vollzeit Mama-Job. Weil ich es mir häufig nicht (rechtzeitig genug) gelingt, mir Luft zu verschaffen und für mich zu sorgen und vor allem eben weil die Rahmenbedingungen nicht stimmen. Aber so ein Tag ist auch echt lang und unglaublich facettenreich. Es wird genauso viel gelacht und blödsinn gemacht. Wir erleben die gesamte Bandbreite an Gefühlen. Das ist wunderbar und wahnsinnig kräftezehrend zugleich. Alles ist unbeschreiblich intensiv und manchmal eben auch viel zu viel. Es ist das pure Leben.

 

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5 Kommentare zu „Eine Frage des Blickwinkels: von Aufopferung und Selbstbestimmung“

  1. Schön, dass ihr eine Lösung für alle gefunden habt.
    Bei uns war es ähnlich, je älter der Kleine wurde, desto seltener waren wir draußen. Es ist nun mal alles im Fluß. Jetzt genieße ich die Zeit, wenn sich meine 2 Kinder festgespielt haben, um Haushalt zu erledigen oder in Ruhe Tee zu trinken und etwas nur für mich zu lesen 😉 Mit einer variablen Tagesstruktur fahren wir alle entspannter, meistens.

    Toller Blog. Authentisch und zum Schmunzeln. Weiter so.

    1. Danke für deine lieben Worte! Ja, du hast Recht. Mir hilft es auch am meisten die eigenen Erwartungen runterzuschrauben und eben das Beste aus der Situation zu machen. Wenn beide im Spiel sind, kann es auch mal ganz entspannt zugehen.

  2. Pingback: Ohne Fremdbetreuung? Über die Vorteile kitafrei zu leben « familiengarten.org

  3. Herrlich. Danke für deine positive Sichtweise! Bei uns ist es ähnlich (nur dass Mini vorne an mir dran hängt). Sollte mich das mal wieder wahnsinnig anstrengen oder nerven, werde ich deinen Text noch mal lesen. :*

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