Alleinerziehend um die Welt | Familiengarten

Alternatives Familienleben: Alleinerziehend um die Welt

Die Koffer packen, die Wohnung auflösen und einfach losziehen? Wer träumt nicht ab und an davon? Aber alleinerziehend um die Welt reisen? Wie es ist, diesen Schritt zu wagen und wie das finanziert werden kann, erfährst du hier im Interview.

Dies ist der zweite Teil meiner Interviewreihe rund ums alternative Familienleben. Hier stelle ich dir Familien vor, die ihrem Herzen folgen und dabei oft ungewöhnliche Lebenswege eingeschlagen haben. Ich möchte damit Mut machen, inspirieren und zeigen, dass es viele unterschiedliche Wege gibt, als Familie zu leben. Was sind deine Wünsche und Träume und lebst du diese auch? Sie müssen niemandem anderen gefallen, sie sind einzig für dich und deine Familie da. Nimm dir den Mut und schau sie wenigstens an.*

 

Jenny bloggt auf Zweiumdiewelt.de und ist mit ihrer fast dreijährigen Tochter seit November auf Open End Reise unterwegs. Wie sie auf die Idee gekommen ist, alleinerziehend um die Welt zu ziehen, wie lange sie ihre Reise vorbereitet hat und wie sie das Ganze finanziert, erzählt sie im Interview.

Liebe Jenny, ihr habt im November Deutschland verlassen. Wie fühlt es sich an, alleinerziehend um die Welt zu reisen?   

Gut und doch manchmal anstrengend. Ich dachte, wenn wir erstmal losgezogen sind, fühle ich mich direkt frei, aber das Gefühl der unbändigen Freiheit stellt sich nur manchmal ein und ist nicht konstant. Denn 24/7 alleinerziehende Mama-Sein, ist nicht ohne, egal wo man ist. Es fehlt manchmal einfach jemand zum Austausch, gerade wenn Entscheidungen anstehen. Damit tue ich mich oft etwas schwer, wie meine Freundinnen wissen, denen ich bei WhatsApp dann ein Ohr abkaue.

Mit (Klein)Kind alleinerziehend um die Welt zu reisen, erfordert für mich eine andere Art des Reisens: Langsamer und beständiger als mein eigenes Tempo eigentlich ist. Wäre ich ganz allein unterwegs, wäre ich in zwei Monaten sicherlich schon durch mindestens drei Länder gereist. Aber meine Tochter hat andere Bedürfnisse und da nehme ich Rücksicht. Andererseits erleichtert mir das Bleiben an einem Ort auch den „Alltag“ mit ihr: Ich muss nicht ständig neu erklären, wo Gefahren sind, was geht und was nicht und kann mal durchatmen. Man kennt sich dann besser aus, kennt die Wege und es ist natürlich kostensparender, als stehts weiter zu ziehen.


Wie bist du auf die Idee gekommen alleinerziehend um die Welt zu ziehen? Was sind deine Hauptbeweggründe?

Ich wusste schon als sie ein Säugling war, dass wir viel reisen werden. Schon vor ihrer Geburt war ich sehr oft und auch mal länger unterwegs, auch außerhalb Europas. Ich habe neben dem Studium immer alles an Geld beiseitegelegt, um reisen zu können. Während der Elternzeit reisten wir beide bereits sechs Monate alleine durch Südostasien: Thailand, Malaysia, Vietnam, Bali und Kambodscha. Es war eine fantastische Zeit. Reisen mit Baby ist wirklich sehr einfach! Ich merke ja jetzt gerade wirklich den Unterschied zu früher.

Mir war schon  immer klar, dass ich irgendwann aus Deutschland weggehen werde. Ich dachte nur immer, das geht nur, indem ich mich irgendwo bewerbe nach dem Studium und dann einen Job bekomme. Als meine Tochter auf die Welt kam, änderte sich auch meine Welt. Ich wurde mutiger, entschlossener und bekam konkretere Ideen, wie ein Leben noch aussehen könnte. Ich wünschte mir immer mehr eine alternative Lebensform. In Berlin lebten wir beide alleine, ohne Familie. Abgesehen von einigen Freundschaften waren wir doch gerade im Alltag oft einsam. Spätestens als sie fast zwei Jahre alt wurde und nicht wie andere Kinder in die Kita ging.

Ich habe so meine Probleme mit Deutschland. Es ist sicherlich nicht alles schlecht. Den Menschen dort geht es gut. Uns ging es materiell auch gut. ABER emotional ging es mir schlecht. Abgesehen vom Wetter und der Dunkelheit im Winter, möchte ich auch als Alleinerziehende nicht so viel Geld verdienen müssen pro Monat, wie es in Deutschland nun mal notwendig ist, um die hohen Mieten zahlen zu können. Es ist nicht mein Lifestyle meine Tochter dafür den ganzen Tag fremdbetreuen zu lassen, mich kaputt zu schuften und keine Zeit mit ihr zu haben. Und materielle Dinge erfüllen mich nicht. Ich möchte gemeinsame Zeit, miteinander wachsen, soziale Kontakte, viel Natur und Sonne für uns beide. Ich möchte ihr die Welt zeigen. Ich habe mich in Deutschland oft einfach nicht verstanden gefühlt und hatte häufig das Gefühl nicht ganz zu passen. Und der Leistungsdruck ging mir gehörig auf die Nerven.

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Hattest du viele Glaubenssätze zu überwinden, diesen Schritt zu gehen?

Ehrlich gesagt nein. Ich hatte diese Entscheidung getroffen und dann habe ich losgelegt. Ich habe gestrotzt vor Ideen und Energie. Nur als es darum ging, den Zeitpunkt festzusetzen, strauchelte ich. Im Sommer 2019 hatte ich ein Coaching, in dem mir klar wurde, dass ich aus der Sicherheit raus und ins Vertrauen gehen möchte. Denn Sicherheit ist ein Trugschluss und hält uns oft zurück. Beginnen wir im Vertrauen zu leben und manifestieren wir unser Ziel, öffnen sich die (inneren) Türen, die wir brauchen.

Alleinerziehend um die Welt zu reisen, ist ja eher ungewöhnlich. Wie waren und sind die Reaktionen aus eurem Umfeld?

Die Reaktionen waren gemischt. Einige meiner Freunde hat es gar nicht gewundert und den Großteil meiner Familie genauso wenig. Nur der Zeitpunkt war dann für manche hart. Ich hatte Anfang 2019 mein Umfeld informiert, dass wir nach dem Masterabschluss Mitte 2020 weggehen werden. Dann entschied ich mich aber Ende August 2019 schon die Wohnungskündigung einzureichen und mein Studium ohne die noch fehlende Masterarbeit vorzeitig zu beenden. Viele konnten nicht verstehen, wieso ich nicht noch anderthalb Jahre „durchhalte“, mein Kind in den Kindergarten stecke und das Studium beende. Klar es wäre der rationale Weg und der Weg der Sicherheit gewesen, aber halt nicht mein Herzensweg.

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Wann hast du angefangen eure Reise zu planen? Wieviel Vorlaufzeit hattest du, bevor du dich mit deiner Tochter auf die Reise begeben hast?

Im Januar 2019 habe ich mich entschieden. In den drauffolgenden acht Wochen habe ich mich als Texterin selbstständig gemacht und meinen Blog angefangen. Das Frühjahr war von einem Tief geprägt, aber nicht komplett nutzlos, da ich die meiste Zeit Kontakt zu Gleichgesinnten über Facebook und Instagram suchte und auch fand. Das ist so ultra wichtig! Ich fing nebenbei schon ab und zu an als Texterin zu arbeiten. Und nachdem ich besagtes Coaching hatte, konkretisierte sich alles plötzlich. Die Wohnung war für Ende November gekündigt und acht Wochen vorher buchte ich die One Way Tickets nach Bangkok.

Ihr habt in Deutschland euren kompletten Hausrat aufgelöst. War es schwierig sich von all den Dingen zu trennen? Hast du auch Sachen behalten?

Ich dachte anfangs, dass mir das gar nicht schwerfallen würde. Es gab dann allerdings ein paar wenige Sachen, an denen ich dann doch hing und mir eine Trennung etwas schwerer fiel. Ich war echt überrascht. Zum Beispiel meinen Akkuschrauber, der für mich Unabhängigkeit verkörperte.

Ein großes Paket mit stolzen 30kg ging dann am Ende zu meinem Vater, der vor allem die ganzen Dokumente der letzten Jahre für mich aufbewahrt. Wer möchte kann sich hierzu meinen ausführlichen Blogbeitrag durchlesen.

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Viele Familien träumen von einem leichteren Alltag und wünschen sich mehr zu reisen. Oft scheitert es an den Finanzen oder sind die Grenzen da eher im Kopf? Was würdest du anderen Menschen raten, die alleinerziehend um die Welt ziehen wollen?

Tu es! Am Ende wirst du immer bereuen, es nicht versucht zu haben. Gerade wenn die Kinder klein sind und idealerweise nicht in die Schulpflicht fallen, hat man doch alle Freiheiten sich auszutesten. Und es gibt sehr viele Alleinerziehende, die gerne reisen wollen und sich nicht trauen: Vernetzt euch untereinander! Ich habe hierfür zum Beispiel eine Facebookgruppe gegründet: Allein(erziehend) Reisen mit Kind durch Südostasien.

Und was die Finanzen angeht: Es gibt viele günstige Reiseziele, die nicht zu weit weg sind, Marokko zum Beispiel. Aber ich kann auch verstehen, wenn manche Menschen das nicht so gern möchten. Hier wäre es eine Idee sich Reisepartner zu suchen und sich Kosten zu teilen. Und auch sonst gibt es einige günstige Arten des Reisens. 

Alleinerziehend um die Welt zu reisen muss ja auch finanziert werden. Wie genau machst du das?

Ich arbeite einige Stunden pro Woche als Texterin für feste Kunden. Ich schreibe zum Beispiel für Immobilienseiten über Schweden und Sardinien. Das macht mir großen Spaß. Oder ich suche uns etwas als Freiwillige (Volunteer). Meine Tochter bekommt zusätzlich etwas Unterhalt.

Ich versuche maximal 15-20 Euro pro Tag auszugeben. Das beinhaltet Visum, Krankenversicherung, Unterkunft und Verpflegung. Wenn wir als Freiwillige irgendwo sind, klappt das natürlich besser, als wenn ich alles selbst bestreiten muss. Zusätzlich habe ich die Ersparnisse und den Erlös aus der Wohnungsauflösung. In Zukunft möchte ich außerdem mein „Reisen mit Kind Coaching“ populärer machen, in dem ich Alleinziehenden den Mut geben möchte, mit ihrem Kind zu reisen. Ich plane außerdem als Freiwillige auszuhelfen und habe noch andere Ideen für die Zukunft.

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Deine Tochter ist rund um die Uhr bei dir. Wann genau arbeitest du und woher nimmst du die Energie dafür?

Ich habe nicht immer Energie dazu und bin froh, es nicht zwanghaft jeden Tag machen zu müssen. Gerade an Reisetagen möchte ich mich entscheiden können, ob ich noch am Laptop sitzen will oder nicht. Manchmal haben wir auch kein Internet oder keinen Strom. Ich führe eine Tabelle mit genauen Ein- und Ausgaben und sehe dann, wie viel ich arbeiten muss, um keine Verluste zu machen. Ich arbeite derzeit jeden zweiten oder dritten Tag, manchmal auch zwei Tage hintereinander, je nachdem wie es uns geht oder ob Reisetage anstehen. Ich schreibe oft, wenn sie schläft, egal ob mittags oder abends, da ich mich so besser konzentrieren kann. Wenn sie mal einen faulen Moment hat und vorm Tablet sitzt, schnapp ich mir den Laptop und versuche eben fix was zu machen. Mir ist einfach wichtig, dass uns das Geld nicht ausgeht und wir nicht zurückmüssen, das motiviert ungemein.

Hast du eure Reisestrecke im Vorfeld geplant oder bist du eher spontan? Wenn ja, wie sehen eure nächsten Reisepläne aus?

Ich bin ein absoluter Fan des Spontanreisens. Es ermöglicht einem so viele gute Möglichkeiten, vor allem wenn es einem irgendwo nicht gefällt. Meine Idee war von Anfang an von Bangkok über Land nach Kambodscha zu reisen und mir Kampot als ersten Stopp anzuschauen. Ich hatte gesehen, dass es hier das ein oder andere Angebot für Volunteers gibt, was mich ansprach und wusste von meiner Elternzeitreise, dass es hier recht international ist.

Was die Zukunft bringt, weiß ich gerade noch nicht.  Manchmal kommt man an einem Ziel an und ist unzufrieden. Obwohl man es sich selbst gesetzt hat. Ich bin sehr unruhig. Dieser Weg ist mir auch neu. Ich merke ich habe innere Themen zu bearbeiten und denen widme ich mich die kommenden Wochen hier in Kambodscha. Will ich bleiben oder reisen? Wohin will ich reisen? Was ist Heimat? Was brauche ich zum glücklich sein? Eventuell gibt es dann die nächste „große“ Reise. Ganz woanders hin. So oder so, es bleibt spannend. Denn nichts ist beständiger als der Wandel. 

Wo siehst du euch in ein paar Jahren? Hast du da genauere Pläne?

Ich habe keine konkreten Pläne, eher Wünsche und Ideen, bei denen ich schauen möchte, ob sie zu uns passen. Ich wünsche mir Gemeinschaft beziehungsweise ein Zusammenleben mit anderen alternativen Familien oder auch mit einem Partner. Außerdem wünsche ich mir in ein paar Jahren ein weiteres Kind. Und ich wünsche mir, dass wir an einem warmen Ort leben mit viel Natur und meine Tochter frei aufwächst. Der darf auch innerhalb Europas sein, was den Kontakt zur Familie erleichtern würde.

Wollt ihr wieder zurück nach Deutschland kommen? Was müsste sich hier ändern, dass dir die Entscheidung leichter fallen würde?

Derzeit schließe ich das komplett aus. Ach, das wäre eine lange Liste, was sich da ändern müsste. Die Impfpflicht müsste zu allererst mal wieder abgeschafft werden, das Freilernen und Homeschooling müsste erlaubt werden, die Mentalität der Leute müsste sich mal verändern und achja, das Wetter.

Ich möchte mich damit im Moment ungern beschäftigen, da für mich das Hier und Jetzt zählt. Und jetzt sind wir gerade bei Kampot in Kambodscha und ich schreibe diesen Artikel unter Sternenhimmel, während die Grillen zirpen. Dafür hat sich der Stress mal wieder gelohnt.

 Allerinerziehend mit Kind um die Welt

 

* Seid auch ihr mit eurer Familie auf eher ungewöhnlichen Pfaden unterwegs und habt Lust mir etwas darüber zu erzählen? In meiner Beitragsreihe „alternatives Familienleben“ möchte ich die bunte Vielfalt von Familien vorstellen und freue mich daher sehr über Berichte und Interviews rund ums alternative Wohnen, selbstbestimmte Geburt, freies Lernen, kindergartenfreies Leben, selbstbestimmtes und ortsunabhängiges arbeiten und Querdenken ganz allgemein. Schreibt mich also gerne an. Ich freue mich!

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2 Kommentare zu „Alternatives Familienleben: Alleinerziehend um die Welt“

  1. Domi und Katja

    Hallo Jufie,

    danke für diesen echt interessanten Artikel. Ich hätte mir das nie und nimmer getraut.

    Lg Domi und Katja

  2. Ein sehr interessantes Interview, das mir als alleinerziehende Mutter im Reisefieber auch sehr gut gefällt. Einfach so die eigene Wohnung aufzulösen und mit dem Kind die Welt zu bereisen stelle ich mir auch sehr spannend vor. Vor allem ist es sehr mutig und sowohl für Mutter als auch Kind eine wertvolle Lebenserfahrung. Ich plane auch gerade eine Wohnungsauflösung. Allerdings werden mein Fünfjähriger und ich lediglich in eine andere Stadt ziehen.

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