Rückblickend schien es, als wollte sie auch mir eine Stimme für diese traumatische Geburt geben und so machte sie unserer Empörung Luft – ganze acht Monate lang (mehr über diese Zeit kannst du bei Geborgen Wachsen lesen).
Dieser eine Tag im September 2013, die Geburt unserer Tochter, war das schönste und zugleich schrecklichste Erlebnis in unserem bisherigen Leben. Ein Erlebnis, dass meinen Mann und mich noch enger zueinander gebracht hat und ganz entscheidend unseren heutigen stark alternativen Weg geprägt hat. Aber auch ein Erlebnis, dass uns alle drei nachhaltig traumatisiert hat und noch heute – fünf Jahre später – auf uns wirkt.
Diese traumatische Geburt hätte nicht passieren müssen. Die Gewalt währen der Geburt, die wir erfahren haben und die Respektlosigkeit im Umgang mit uns, all das wäre vermeidbar gewesen. Es hätte nicht so Enden müssen, hätten wir mehr Vertrauen in uns und unser Bauchgefühl gehabt, wäre eine kompetente Begleitperson an unserer Seite gewesen und wäre vor allem die Geburtshilfe in Deutschland grundlegend anders strukturiert.
Roses Revolution Day
Vergangenen Sonntag, am 25. November, war der internationale Tag gegen Gewalt an Frauen und zugleich Roses Revolution Day. Ein Tag, an dem weltweit auf Gewalt und Respektlosigkeit in der Geburtshilfe aufmerksam gemacht wird. Denn eine traumatische Geburt zu erleiden, ist leider keine Seltenheit. Jede dritte Gebärende ist betroffen, dennoch ist das Thema kaum in der Öffentlichkeit bekannt. Mit dem Aktionstag, der dieses Jahr bereits zum 6. Mal stattfand, erhalten betroffene Mütter eine Stimme, um das zu ändern: Sie legen Rosen und Briefe an den Orten der Gewalt ab und setzen so ein gemeinsames Zeichen für eine menschenwürdige und sichere Geburtsbegleitung.
Nur wenn wir gemeinsam aufstehen und unsere Erlebnisse öffentlich als Gewalt benennen, kann sich etwas ändern. Darum möchte auch ich mein Schweigen brechen und über die traumatische Geburt meiner Tochter berichten. In einem weiteren Artikel werde ich mich dann den Ursachen für Gewalt während der Geburt widmen und der Frage nachgehen, ob sich eine traumatische Geburt irgendwie vermeiden lässt.
der Himmel auf Erden?
Mein Mann und ich waren allein im Kreißsaal, er hielt meine Hand, im Hintergrund lief Musik. Ich lächelte und scherzte sogar. Wahnsinn. Plötzlich fühlte sich alles so leicht an. Endlich hatte ich Pausen zwischen den Wehen, endlich waren diese unerträglichen Schmerzen nahezu aushaltbar. Ich konnte Kraft in den Wehenpausen sammeln und auch die Wehen selbst waren nur noch dumpf wahrnehmbar. Kein Vergleich zu den letzten 24 Stunden, seitdem die Einleitung endlich angeschlagen hatte.
Kurz zuvor hatte ich eine PDA erhalten, die sich in diesem Moment anfühlte wie der Himmel auf Erden. Allerdings geschah das nicht ganz freiwillig. Sie wurde mir mehr oder weniger eingeredet, denn ich hatte ja so fürchterliche Schmerzen. Das stimmte, dennoch hätte ich es gerne zunächst einmal im Wasser probiert. Aber da es dann ja auch schnell zu spät sein könnte und der Anästhesist nun gerade einmal Zeit hatte, wurde mir lieber gleich die PDA gesetzt. Mit einem Mal schien die Welt wieder in Ordnung. Die stundenlangen Schmerzen waren wie weggefegt. Ich war ruhig. Sollte es nun doch gar nicht so schlimm werden? Sollte es wirklich so einfach gehen?
Es muss gegen elf Uhr abends gewesen sein, als die Hebamme meinte, dass wir mit etwas Glück unser Baby noch heute in den Händen halten könnten.
Hektik kommt auf
Leider kippte die Situation für uns Eltern völlig unvermittelt. Plötzlich stand die Hebamme da und machte Druck. Es müsse jetzt schneller gehen. Ich solle mitdrücken. Wäre mein Kind nicht bald da, müsste sonst der Oberarzt mit der Zange kommen.
Wir erhielten keinerlei Informationen was genau passiert ist. Wie es zu diesem plötzlichen Wandel kam. Völlig perplex gab ich mein bestes, aber es schien sich nichts mehr zu tun. Ich war durch die Angst völlig blockiert. Dann standen sie auf einmal vor mir: Zwei Hebammen, eine Ärztin und der Oberarzt. Ob ich denn überhaupt noch was merken würde, fragte er und ob ich denn wohl noch Wehen hätte? Bis dahin waren sie regelmäßig gekommen, nun schienen sie aber einfach weg zu sein.
Die Psyche spiele wohl eine wichtige Rolle bei der Wehenproduktion, wusste die Ärztin zu verkünden. Nur leider kam niemand der Beteiligten auf die Idee, sich dementsprechend zu verhalten. Sich ein wenig zurück zu nehmen und vielleicht einfach ein Stück zurückzutreten, eine kleine Befragungspause einzulegen – das alles hätte vielleicht schon gereicht. Stattdessen wurde ich wieder und wieder nach Wehen gefragt und massiv unter Druck gesetzt.
„Bei der nächste Wehe helfe ich mal ein wenig mit“, meinte die andere Hebamme schließlich, kurz bevor sie sich mit ihrem gesamten Gewicht auf mich schmiss und mit voller Kraft auf meinen Babybauch drückte, während meine Beine festgehalten wurden. Mit dem umstrittenen Kristeller-Handgriff versuchte sie mein Baby aus mir herauszuschieben. Ich war völlig perplex und geschockt. Als dann der Arzt die Zange nahm, brach ich weinend und schreiend zusammen. Ich hatte panische Angst um mein Kind.
Mein Mann drückte pausenlos den PDA Knopf, sodass der Oberarzt irgendwann scherzte: „Man könnte meinen, Sie würden selbst die Schmerzen fühlen“. „Das ist das einzige was ich tun kann und das mache ich richtig“, entgegnete ihm mein verzweifelter und ebenso angsterfüllter Mann.
Und dann war es irgendwann endlich vorbei. Mein Baby wurde förmlich aus mir rausgerissen. Mit aller Gewalt wurde sie mit Hilfe eines Dammschnittes und der Zange aus mir rausgeholt. Ich fühlte mich vollkommen überrolt und übergangen und die Frage des Oberarztes, warum wir sie denn so aus mir rausgeprügelt hätten, kam mir vor wie der blanke Hohn. Ja, wenn Sie es nicht wissen? Ich weiß es leider bis heute nicht.
endlich geschafft?
Es war 2.14 Uhr und ich hatte gerade eine kleine Tochter geboren. Unentwegt schreiend lag sie auf mir, während ich eine gefühlte Ewigkeit wieder zusammengeflickt wurde. Sie schrie und schrie. Niemand half mir sie mal anzulegen. Stattdessen waren alle sichtlich genervt. Dann wurde sie angezogen, gewogen und vermessen, bis sie endlich – immer noch schreiend – wieder in den Arm meines Mannes durfte.
Dann sollte ich mit einem Mal aufstehen. Mein verzweifeltes Flehen, dass ich meine Beine gar nicht spüren würde, wurde überhört. Zwei Hebammen hievten mich hoch und stürzten letztlich unsanft mit mir zu Boden. Mein Mann stand hilflos mit unserer Tochter im Arm daneben und ich wurde angegangen doch mal ein wenig mitzuhelfen. Irgendwie schafften sie es schließlich, mich auf das Bett zu heben. Wir wurden in den Flur geschoben, wo mir nun auch geholfen wurde, meine Tochter zu stillen. Das Schreien war endlich für einen kurzen Moment vorbei.
Schreien gelassen
Schließlich kamen wir auf das Zimmer, das ich mir mit einer anderen Frau teilen musste. Mein Mann wurde nach Hause geschickt, meine Tochter kam ins Babyzimmer. Ich wäre ohnehin nicht in der Lage, mich um sie zu kümmern und könne ja noch nicht einmal aufstehen. Auch müsste ich mich jetzt erstmal erholen.
Ich war viel zu benommen von all dem Erlebten, um auch nur irgendeinen Gedanken zu fassen. Mir kam überhaupt nicht in den Sinn, Widerworte zu finden oder auch nur irgendetwas dazu zu sagen. Allerdings stand für mich auch völlig außer Frage, dass sie sie mir bringen werden, wenn sie schreit. Das ist doch das einzig logische oder? Leider brauchte ich eine ganze Zeit, um zu merken, dass dem nicht so war und sie zusätzlich ohne mein Einverständnis zugefüttert wurde.
Meine kleine Tochter verbrachte ihre ersten beiden Nächte ohne mich – alleine, wie am Spieß schreiend, vermutlich unter Todesangst, an einem ihr völlig unbekannten Ort. Auch wenn ich es zu diesem Zeitpunkt einfach nicht besser wusste und schlicht auch nicht anders handeln konnte, fällt es mir bis heute unglaublich schwer, mir das zu verzeihen.
kein Rückzug möglich
Wir blieben die nächsten fünf Tage auf der Wochenbettstation, was mir wie eine Ewigkeit vorkam. Ich litt fürchterlich. Ich wollte einen Rückzugsbereich für mich und meine kleine Familie und sehnte mich unendlich nach meinem Mann. Denn er war zwar den Großteil des Tages da, wurde aber nachts nach Hause geschickt. Gerade dann fingen die wirklichen Probleme aber erst an. Denn unsere Tochter schrie.
Ich lief den Flur auf und ab, schaukelte unter immensen Schmerzen mein schreiendes Baby auf dem Stillsessel hin und her und musste mich zu allem Überfluss noch mit der Nachtschwester rumärgern, die allen Ernstes der Meinung war, ich solle mein zwei Tage altes Baby tagsüber wachhalten, dann würde es auch nachts nicht schreien. Auch in meiner Ernährung hatte sie einen weiteren Grund für die nächtlichen Schreiattacken meiner Tochter gefunden und zufüttern wäre ja prinzipiell auch mal eine gute Idee. Dass ich genau das gegenteilige Problem hatte, nämlich viel zu viel Milch, spielte keine Rolle. Stets und ständig wusste irgendjemand besser, was ich zu tun oder zu lassen habe. Und wie ich denn wohl auf die Idee käme, mein Baby erst zu stillen statt zu wickeln?
Hilfe aber gab es nicht.
voller Trauer und Hilflosigkeit
Immerhin sahen sie, dass ich massiv unter der Situation litt. Ich fühlte mich so verwundbar, so voller Trauer und Hilflosigkeit wie noch nie zuvor in meinem Leben und befand mich dabei an einem Ort, an dem ich kaum Wertschätzung erfuhr und mich abgrundtief unwohl fühlte. Ich wollte nur noch nach Hause.
Allerdings stand ich noch immer unter Beobachtung und konnte noch kaum laufen. Mein Wunsch nach einem Familienzimmer konnte zunächst nicht erfüllt werden, denn es war Mitte September und somit Stoßzeit im Kreißsaal und auf der Wochenbettstation. Pünktlich zu meinem Geburtstag bekamen wir dank des unermüdlichen Einsatzes der Patienten- und Elternberaterin der Station dann aber doch noch eins. Endlich hatte ich wenigstens ein kleines eigenes Reich für meine Familie und mich, in dem ich mich ein wenig sicherer fühlen und mich vor der übergriffigen Nachtschwester schützen konnte.
Mit meinem Mann an meiner Seite ging es mir deutlich besser. Sah ich mich doch selbst kaum in der Lage meine Tochter ruhig zu wickeln und zu versorgen. Ich war unsicher, erschöpft und litt unter starken Schmerzen. Zudem machte mich das ständige Schreien völlig unruhig. Ein Zustand, der sich lange Zeit nicht bessern sollte.
Als wir endlich zu Hause waren, fiel eine unglaubliche Last von mir. Allerdings kam dann auch die große Traurigkeit.
Meine traumatische Geburt ist immer noch präsent
Fünf Jahre ist meine traumatische Geburt jetzt her. Zwischenzeitlich hatte ich eine heilende Hausgeburt (die allerdings im Krankenhaus ebenso gewaltvoll geendet hätte, wurde mir hier doch bereits aufgrund der Gewichtsschätzung direkte Gewalt angedroht…) und dennoch ist es noch immer hoch präsent. Noch heute steigen mir die Tränen in die Augen, sobald ich an meine traumatische Geburt denke und diesen Text zu schreiben, hat mich einiges an Überwindung gekostet. Ich bin davon überzeugt, dass nicht nur ich ein Geburtstrauma erlitten habe, sondern auch meine Tochter und wir noch immer dadurch belastet sind.
Das war Gewalt
Das, was ich während, vor und nach der Geburt erlebt habe, ist Gewalt. Dies zu benennen und auch als solche anzuerkennen, war nicht gerade leicht für mich. Zu stark war der Glaube, dass ja andere noch viel schlimmere Erfahrungen machen mussten. Dass ich ja froh sein muss, dass ich ein gesundes Kind habe. Das stimmt zwar, macht aber meine traumatische Geburt nicht weniger schlimm. Ein Trauma wird nicht weniger, wenn wir es uns schönreden. Mein Erlebtes wird nicht weniger schmerzhaft, nur weil es anderen noch schlimmer ging. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun.
Auch gehört das nicht einfach irgendwie zur Geburt dazu. Physische und psychische Gewalt ist nichts was Gebärende einfach hinnehmen müssen. Gewalt während der Geburt kann und muss vermieden werden, denn jede Frau hat ein Recht auf eine würde- und respektvolle Geburt.
Wie kommt es aber zu Gewalt in der Geburtshilfe? Wieso erlebt wenigstens jede dritte Frau eine traumatische Geburt und lässt sich dagegen irgendetwas im Vorfeld tun? Diese Fragen werde ich in den nächsten Artikeln näher betrachten.
4 Kommentare zu „Traumatische Geburt: Wenn Geburt zum Albtraum wird“
Meine Schwester ist zum ersten Mal schwanger und hat leider viele Horrorgeschichten gehört. Glücklicherweise konnte ihr bisher die Geburtshilfe etwas die Angst nehmen. Wichtig für sie ist auf jeden Fall eine gute Betreuung. Hoffentlich geht bei ihr alles gut.
Das hoffe ich auch für deine Schwester. Ja, das ist immer gar nicht so einfach. Auch wenn ich es für sehr wichtig halte, dass wir auch und gerade über negative Geburten sprechen. Ich habe noch einen anderen Beitrag über die selbstbestimmte natürliche Geburt. Hier steht auch, was wir selbst tun können, um möglichst gut vorbereitet zu sein. Denn es ist nicht einfach „nur“ Glückssache, dass alles gut geht. Alles gute für deine Schwester. Lg, Julia
Hausgeburt oder Alleingeburt? 🙂
Liebe Julia, du bist sehr mutig. Vielen Dank, dass du über diese schreckliche Erfahrung berichtest. Die Öffentlichkeit muss wachgerüttelt werden. Ich wünsche dir und deiner Familie alles Gute!